Westwood Studios: Aufstieg und Fall der C&C-Erfinder - Rückblick mit XXL-Video

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Special Felix Schütz - Redakteur
Westwood Studios: Aufstieg und Fall der C&C-Erfinder - Rückblick mit XXL-Video
Quelle: PC Games

Mit Hits wie Dune 2, Command & Conquer oder Blade Runner hat Westwood Spielegeschichte geschrieben. Doch unter EA fand die lange Erfolgsgeschichte ein trauriges Ende. Wie es dazu kommen konnte und warum Westwoods Stern selbst heute noch strahlt, beleuchten wir in unserem Report mit extra großem Video.

Wer die bunten 90er Jahre miterlebt hat, würde so manches davon vielleicht lieber wieder vergessen: Arschgeweihe und Tamagotchis. Eurodance ("Hyper, Hyper!"). Lahme Modems, die Geräusche machten, als sei der Teufel in die Leitung gefahren. Und von früh bis spät dröhnt Macarena aus dem Radio. Aber: Es war nicht alles grauenvoll. Für Gamer - und ganz besonders für PC-Spieler - waren die 90er auch ein Goldenes Zeitalter! Eines, in dem Kult-Entwickler wie Bullfrog, Origin, Lucas Arts oder id Software so viele Hits raushauten, dass man mit dem Spielen kaum noch hinterherkam. Es waren Studios, die Maßstäbe gesetzt haben. Und eines von ihnen ... war Westwood Studios.

Vor allem mit seiner legendären Command & Conquer-Serie war das Team lange Zeit nicht zu bremsen. Doch auch mit anderen Spielen eroberte Westwood das Spitzenfeld. Man wusste: Wo das grüne Logo auf der Schachtel war, steckte Qualität drin. Das Studio wuchs von einer kleinen Garagenbutze auf rund 100 Mitarbeiter heran und produzierte über viele Jahre einen Top-Titel nach dem nächsten. Doch 2003 fand die Erfolgsgeschichte unter EA ein vorläufiges Ende - und nochmal zehn Jahre später war es aus und vorbei mit Westwood. Doch das Studio hinterlässt auch ein gewaltiges Erbe! Und eine treue Community, die Westwoods Andenken in Ehren hält. Und genau das wollen wir auch tun: In diesem Special gehen wir zurück zu den Anfängen und beleuchten, mit welchen Spielen sich die Westwood Studios an die Spitze gearbeitet haben, welche Projekte unterwegs den Bach runtergingen, wie unrühmlich das Team eingestampft wurde - und warum der Stern von Westwood selbst heute noch strahlt.

Willkommen in unserem Rückblick, Commander.

59:29
Westwood Studios | Aufstieg und Fall der C&C-Erfinder

Die Anfänge: 1985 bis 1991

Eye of the Beholder Quelle: PC Games Eye of the Beholder Westwoods Geschichte begann - wie so oft - mit guten Freunden und einer verrückten Idee: Im Jahr 1985 beschlossen Brett Sperry und Louis Castle in Las Vegas, Nevada, eine bescheidene Garagenfirma zu gründen. Brelous Software, so der vorläufige Name, wird schon nach ein paar Wochen geändert. Der neue Titel bleibt dagegen haften: "Westwood Associates" war geboren und die beiden Jung-Entwickler, bereits um einen dritten Mitarbeiter reicher, gingen munter ans Werk. Sperry und Castle hatten zu der Zeit schon erste Erfahrungen im Portieren unterschiedlichster Software gesammelt. Dadurch konnten sie schnell Kontakte zur Spiele-Industrie knüpfen und neue Aufträge an Land ziehen, unter anderem für namhafte Studios wie Epyx oder SSI. Das kleine Team kümmerte sich dann in den ersten Jahren vor allem darum, Spiele wie World Games, Super Cycle oder Roadwar 2000 auf den Amiga, Atari ST oder C64 zu portieren. Nicht die spannendste aller Aufgaben - aber es brachte wichtige Erfahrung und ein wenig Geld in die Kasse. Nur ein Jahr später war das Team bereits auf sechs Leute angewachsen und zog in sein erstes, richtiges Büro um.

Mars Saga

1988 gelang Westwood dann seine erste Eigenentwicklung: Mars Saga auf dem C64. Ein rundenbasiertes Sci-Fi-Rollenspiel, für das man ausgerechnet Electronic Arts als Publisher gewinnen konnte.

In Mars Saga spielte man den gestrandeten Astronauten Tom Jetland, der sich auf einer Mars-Kolonie durchschlagen musste. Erkundet, gehandelt und geplaudert wurde aus der Ego-Perspektive, man konnte eine Party anheuern und weiterentwickeln - und es gab taktische Kämpfe, die aus der Draufsicht gespielt wurden. Ein stimmiges Erstlingswerk, das war zwar kein großer Erfolg war, aber zumindest stellte es wichtige Weichen für die Entwickler. Nach dem Release kam es zu einem Markenrechtsstreit zwischen EA und Westwood, den die Entwickler für sich entscheiden konnten. So durfte man Mars Saga ein Jahr später nochmal für Apple II und MS-DOS veröffentlichen, diesmal allerdings unter dem neuen Titel Mines of Titan. Neben zusätzlichen Inhalten und verbesserter Grafik wurde für diese Version auch das Setting ausgetauscht, denn nun wart ihr nicht mehr auf dem Mars unterwegs, sondern auf einem Saturn-Mond.

Mines of Titan Quelle: PC Games Mines of Titan

Im gleichen Jahr lieferte Westwood auch BattleTech: The Crescent Hawk's Inception ab, das gleich für mehrere Systeme wie Amiga, Apple II, MS-DOS oder C64 erschien. Ein Mix aus Adventure und rundenbasiertem Rollenspiel, aus heutiger Sicht kaum der Rede wert. Doch 1989 konnte sich das Spiel durchaus sehen lassen- schon allein, weil es eines der ersten ernstzunehmenden Battletech-Videospiele überhaupt war.

Westwood arbeitete bereits an mehreren Projekten gleichzeitig, sodass man im gleichen Jahr noch A Nightmare on Elm Street folgen ließ, ein simples Actionspiel, in dem ihr durch eine Stadt flitzen, das Haus von Freddy Krueger finden und dort den Kampf gegen das Pizzagesicht aufnehmen müsst. Ein Spiel, das zu Recht schnell in Vergessenheit geriet. Doch in der Zwischenzeit hatte Westwood bereits einen tollen Deal an Land gezogen: Da SSI mit der bisherigen Zusammenarbeit zufrieden war, erhielt Westwood den Zuschlag, künftig auch Spiele auf der Basis von Dungeons & Dragons zu entwickeln - schon damals eine überaus begehrte Marke.

Hillsfar und Circuit's Edge

Westwood machte sich an die Arbeit und bastelte mit der Lizenz zunächst das ungewöhnliche Hillsfar. Ein Abenteuerspiel, bunt gemixt aus allen möglichen Genres. Zu Beginn gibt's beispielsweise arcadige Jump'n'Run-Sequenzen auf dem Pferd, danach erkundet man in typischer Rollenspielmanier eine Stadt aus der Ego-Ansicht. Dort darf man auch Gebäude betreten, was dann wieder aus der Top-Down-Ansicht gespielt wird. Schlösser knacken, Schätze erbeuten oder NPCs anquatschen, dazu Minispiele und kleine Quests, darunter zum Beispiel ein Zweikampf in der Arena. Alles in allem ein ungewöhnliches Werk, das für Westwood aber zumindest ein kleiner Erfolg wurde.

1990 ging es dann mit Circuit's Edge weiter, einer düsteren Cyberpunk-Geschichte, die ihr als Mischung aus Adventure und Rollenspiel erlebt. Das Spiel basierte auf der dreiteiligen Budayeen-Reihe des Autors George Alec Effinger. Das Setting war provokant, das Gameplay dagegen altbacken: Man klickte sich durch leblose, schlicht gepixelte Bildschirme, in denen die Hälfte für Text reserviert war. Auch das Interface war nicht mehr zeitgemäß. Wer sich selbst ein Bild machen will: Hier könnt ihr das Westwood-Frühwerk im Browser spielen.

Bildergalerie

Battletech und DragonStrike

Natürlich hatte Westwood noch weitere Projekte im Ofen und konnte im gleichen Jahr Battletech: The Crescent Hawks' Revenge veröffentlichen. Anders als beim Vorgänger gab's diesmal aber kein Rollenspiel, sondern lupenreine Echtzeit-Taktik. Das war nicht nur ungewöhnlich für die damalige Zeit, sondern für Westwood auch eine wichtige Fingerübung. Für das Team war nun klar: Strategie und Echtzeit, das gehört zusammen.

Zwischendurch folgte noch Goofy's Railway Express, ein schlichtes Disney-Lernspiel, das sich - laut Verpackung - an Zwei- bis Fünfjährige richtet. (Der Autor dieser Zeilen, selbst Vater zweier Kinder, kann den Sinn dahinter nicht mal erahnen.) Spannender und wichtiger war aber das grafisch anspruchsvolle DragonStrike, das Westwood wieder für SSI entwickelte. Darin durftet ihr mit einem Drachen durch einfache 3D-Umgebungen fliegen, Aufgaben erfüllen und Feinde mit Klauen, Feuer und Magie wegputzen. Das Ganze basierte auf der D&D-Lizenz, war aber im Grunde ein knackiger Mix aus Flugsimulator und First-Person-Shooter mit Rollenspielelementen. DragonStrike hat sich zwar nicht übermäßig verkauft und wird heute gerne mal übersehen, markierte für Westwood aber vor allem technisch einen großen Sprung nach vorn.

Eye of the Beholder

Der große Durchbruch gelang Westwood dann im Jahr 1991. Vier Jahre nach dem kultigen Dungeon Master (entwickelt von FTL Games) versuchte man bei Westwood ein ähnliches Rollenspiel zu machen - nur diesmal eben mit der Lizenz von Dungons & Dragons. Das Ergebnis war Eye of the Beholder, ein klassisch-guter Dungeon Crawler aus der Ego-Perspektive, in dem ihr vier verschiedene Helden durch eine Reihe finsterer Kerker scheucht. Obwohl man die D&D-Regeln ein bisschen verbiegen musste, ging das Konzept auf: Das Spiel wurde ein voller Erfolg für SSI und kassierte Top-Wertungen in der Fachpresse. Neben der Spieltiefe wurde auch die moderne Präsentation mit ihrer detailverliebten VGA-Grafik gelobt. Und auch das Interface präsentierte sich viel aufgeräumter als in früheren Westwood-Spielen. Eye of the Beholder sollte schon in kurzer Zeit zwei Nachfolger bekommen, von denen allerdings nur noch Teil 2 aus der Feder von Westwood stammte. Denn der Entwickler hatte zu der Zeit schon ganz andere Pläne.

Eye of the Beholder Quelle: PC Games Eye of the Beholder

Der Aufstieg: 1992 bis 1995

Trotz des Erfolgs von Eye of the Beholder setzte Westwood erst noch ein paar Titel um, die heute kaum noch jemand kennt. Etwa Mickey's Runaway Zoo, ein weiteres Disney-Lernspiel für Kinder und Kleinkinder. Oder das wenig beachtete Order of the Griffon, das 1992 nur für PC Engine (TurboGrafx-16) erschien. Und dann gab es noch Dungeons & Dragons: Warriors of the Eternal Sun, ein Rollenspiel exklusiv für Sega Mega-Drive - das Spiel erntete wie auch Order of the Griffon nur gemischte Kritiken und verschwand schnell wieder in der Versenkung. Doch all das sollte auch keine Rolle mehr spielen - denn Westwood hatte schon längst das nächste große Ding in Arbeit. Sein Titel: The Legend of Kyrandia.

    • Kommentare (32)

      Zur Diskussion im Forum
      • Von arrgh Spiele-Enthusiast/in
        Eeendlich bin ich auch dazu gekommen... Grandios! Ein äußerst gelungenes Special sowie Video (eure Sprecher sind übrigens das reinste ASMR)! Umfangreich, unterhaltsam und ansprechend erzählt - Top!

        Sehr schön auch, dass ihr bei Dune 2000 auf die entsprechenden Mods verwiesen habt, damit das Spice weiterhin fließen kann! ???

        Zitat von Felix Schuetz
        Aber höre ich da raus, dass ihr euch allgemein mehr Retro-Themen wünscht? Weil ich finde eigentlich, dass wir in der Hinsicht schon ziemlich viel machen. Oder geht es mehr darum, ganze Studios oder Serien ausführlicher zu beleuchten?
        Sie glauben das herauszuhören, Herr Schütz...

        SIE GLAUBEN?!

        Her mit dem Retrokram, Herrgott! Was auch immer es sei! Wir brauchen noch mehr Lametta, noch mehr Capri-Sonne und noch mehr Tips&Tricks zum Heraustrennen! ?❤️

        PS: Ich hoffe, Sie haben Ihre Meinung zu Tiberian Sun mittlerweile geändert!
      • Von arrgh Spiele-Enthusiast/in
        Eeendlich bin ich auch dazu gekommen... Grandios! Ein äußerst gelungenes Special sowie Video (eure Sprecher sind übrigens das reinste ASMR)! Umfangreich, unterhaltsam und ansprechend erzählt - Top!

        Sehr schön auch, dass ihr bei Dune 2000 auf die entsprechenden Mods verwiesen habt, damit das Spice weiterhin fließen kann! ???

        Zitat von Felix Schuetz
        Aber höre ich da raus, dass ihr euch allgemein mehr Retro-Themen wünscht? Weil ich finde eigentlich, dass wir in der Hinsicht schon ziemlich viel machen. Oder geht es mehr darum, ganze Studios oder Serien ausführlicher zu beleuchten?
        Sie glauben das herauszuhören, Herr Schütz...

        SIE GLAUBEN?!

        Her mit dem Retrokram, Herrgott! Was auch immer es sei! Wir brauchen noch mehr Lametta, noch mehr Capri-Sonne und noch mehr Tips&Tricks zum Heraustrennen! ?❤️

        PS: Ich hoffe, Sie haben Ihre Meinung zu Tiberian Sun mittlerweile geändert!
      • Von McDrake Spiele-Guru
        Endlich auch geschaut.
        Was für ein Video!
        Toller Journalismus

        C&C:Generals hat mir damals eine Verwarnung gebracht.
        Hatten das Ding im Verkauf und war auch legitim, da es in der Schweiz eigentlich keine bindenden Richtlinien gab.
        Anruf von der Zentrale kam dennoch: Den Titel sofort raus aus dem Verkauf!
        Also alles wieder ins Lager gefrachtet und die Augen verdreht.

        Kommt eine halbe Stunde ein erwachsener Typ und fragt meinen Kollegen nach dem Titel.
        Lange darüber gesprochen, dass wir den Titel nicht verkaufen dürften.
        Er: er sei doch erwachsen. Also gutmütig über die Ladentheke..... war natürlich ein Journalist :P
        Mein Kollege bekam eine Verwarnung, weil ich das Ok gab. Hab dann auch um eine gebeten und bekam sie auch.
        Da ich Stv Filialleiter war, lag die Verantwortung ja bei mir.

        Immerhin wars eine TV-News wert.
        Meine 15 Minuten Ruhm
        :-D
      • Von Chrissyx Anfänger/in
        Großartige Reportage, Respekt! Alles soweit richtig (ok, ein Typo: "How to play Red Alert 2 under Wingows 10"), sogar Sole Survivor bedacht und das VÖ-Datum von C&C 1 mit September statt August korrekt angegeben.
        Will man es noch perfekter machen, hier ein paar Anregungen:

        "Incursion" (nicht "Tiberian Incursion") war der Arbeitstitel einer Inkarnation von C&C 3. "Tiberian Twilight" wurde es zu der Zeit aber auch genannt: Es gab damals eine Umfrage auf der Homepage von westwood.com an welchem C&C man als nächstes arbeiten soll. Zur Auswahl standen "Red Alert 3" und "Tiberian Twilight".
        "Renegade" befand sich bereits 1997 unter dem Codenamen "Commando" in Entwicklung. Davon ist mal ein "Pre-Milestone 1" für die PlayStation 1 geleakt worden. Video davon hier.
        "Project Camacho" als Ableger im Generals-Universum hätte man noch erwähnen können - wurde 2009 eingestellt.
        C&C 4 wurde damals ohne Untertitel angekündigt. Erst durch eine Abstimmung der Fans im Rahmen des "Name The Game Contest" wurde "Tiberian Twilight" später dazu genommen. Rückblickend echt schade, da TT bis dahin nur für den eingestellten Nachfolger von Tiberian Sun aus dem Hause Westwood bekannt war.
        Das genaue VÖ-Datum von C&C 1 ist der 26. September 1995, nicht der 31. September (Quelle)
        Bei "Incursion" wären die geleakten Videos der geplanten UI inkl. der Einheitenauswahl ganz nett gewesen.
        C&C 4 ist eines der Spiele mit den schlechtesten Wertungen auf Steam und wurde 2021 von EA aus dem Store entfernt
        Das Remaster brachte weiterhin auch einen Karteneditor mit und der Quellcode wurde sogar auf GitHub veröffentlicht!
        Das soll jetzt keine schamlose Eigenwerbung sein, aber ich hab über 20 Jahre lang wirklich viel Trivia, Zitate von ehemaligen Entwicklern und Material über C&C -besonders die eingestellten Titel wie Continuum, Renegade 2 und C&C3- gesammelt. Zu finden auf meiner Homepage.
      • Von Neawoulf Nerd
        Gut gemachte Live Action Cutscenes würde ich mir heute noch in manchen Spielen wünschen.

        Die waren damals schon teilweise echt gut gemacht bei Westwood. Nur die Komprimierung war ein Problem. In 4k/60 fps würde ich das in aktuellen Spielen feiern, wenn es stilistisch sauber umgesetzt wäre.
      • Von Hot_Grzb Spiele-Novize/Novizin
        "Wo sich andere Studios noch mit Standbildern zufriedengaben, zauberte Westwood bereits ein wunderschön gepixeltes Intro-Filmchen auf den Monitor. (Dune 2)"

        Aus heutiger Sicht wirkt das total unverständlich, wenn man sich das Intro anguckt. Aber als das Spiel rauskam hat mich als Kind das ungemein geflasht, voll krass, es gibt jetzt richtige Filme in Spielen, die fast aussehen, wie echt!! :D
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