Utopie, Zoff & Teerpfützen: Die erste Staffel von Star Trek The Next Generation

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Special Sebastian Göttling - Autor Lukas Schmid - Brand / Editorial Director
Utopie, Zoff & Teerpfützen: Die erste Staffel von Star Trek The Next Generation
Quelle: Paramount Pictures

In Teil 4 unserer Star Trek-Retrospektive wechseln wir vom Kino ins Fernsehen: Sebastian Göttling widmet sich Staffel 1 von Star Trek: The Next Generation!

Die toughe, kurzlebige Sicherheitschefin Macha Hernandez wurde angelehnt an den Charakter der Private Vasquez aus James Camerons Action-Sequel "Aliens". Zunächst hätte man für diese Rolle Marina Sirtis angestellt, die später die Rolle der Deanna Troi übernehmen würde - und umgekehrt hatte man Denise Crosby als Schiffspsychologin gecastet. Ein paar Wochen vor Drehbeginn jedoch tauschte man die beiden Schauspielerinnen kurzerhand aus und aus der Latina Macha wurde Tasha Yar, deren Wurzeln nun in der Ukraine lagen. Die Betazoidin Deanna Troi hingegen bekam - denn Gene Roddenberry war sich noch nie zu schade, Charaktere zu recyceln - die gleiche Hintergrundgeschichte wie die deltanische Lieutenant Ilia aus dem ersten Kinofilm bzw. aus der nie realisierten Serie "Phase 2". Ihr Imzadi William Riker, erster Offizier des Schiffes, basierte ebenso auf Will Decker aus "Star Trek: The Motion Picture". Gerade die Szene im Turbolift, in der Deanna ihrem Will den Gedanken schickt, dass auch sie niemals Lebewohl sagen konnte, ist ein direktes Zitat von Ilia und Will (dem Anderen).

Apropos Recycling: Für seinen gescheiterten 1974er-Pilotfilm "The Questor Tapes" hatte Gene Roddenberry einen Androiden ersonnen, der nun als Grundlage für Data dienen sollte. Wie gesagt: Niemals eine Idee verschwenden!

Aber nicht bloß Questor, sondern auch ein weiterer Charakter aus "Phase 2" bildete die Basis für Data: Der junge Vulkanier Xon, der anders als sein Vorgänger Spock die menschlichen Emotionen nicht ablehnt, sondern ein großer Fan von ihnen ist, selbst fühlen, selbst Mensch werden möchte - ganz genau so, wie auch Pinocchio/Data irgendwann mal ein echter Junge sein möchte.

In Data, aber auch in Tasha stecken abermals Hinweise auf die utopisch-perfekte Menschheit des 24. Jahrhunderts. Beide wurden sie von Sternflotten-Leuten gerettet; Tasha aus einer gescheiterten und von Gewalt zersetzten Kolonie, Data als letztes Überbleibsel einer untergegangenen Zivilisation von einem unwirtlichen Planeten (noch kein Wort von Dr. Noonien Soongh in der Serienbibel).

Seitdem vergötterten sie beide ihre Retter und eiferten ihnen nach, wo sie nur konnten, wollten um jeden Preis so werden wie die strahlenden Heldinnen und Helden, die ihnen aus der Patsche geholfen hatten.

Marina Sirtis als Deanna Troi und Denise Crosby als Tasha Yar - kurz nach ihrem Rollentausch Quelle: Paramount Pictures Marina Sirtis als Deanna Troi und Denise Crosby als Tasha Yar - kurz nach ihrem Rollentausch Ja, die TNG-Bibel steckt voller solcher Bewunderung und Beweihräucherung, auch in den Charakteren des Doktorinnensohns Wesley Crusher und des blinden Steuermanns Geordi La Forge. Diese beiden Charaktere wurden gespielt von den einzigen beiden Schauspielern, die bei Serienankündigung bereits berühmt waren: LeVar Burton aus der Miniserie "Roots" und Wil Wheaton aus der Stephen-King-Verfilmung "Stand By Me - Das Geheimnis eines Sommers".

Im jugendlichen Wesley verewigte sich außerdem niemand Geringeres als Gene Roddenberry höchstselbst. Sein Idealbild vom jugendlichen Gene (also Roddenberry ohne Substanzmissbrauch und Vielweiberei) projizierte er auf den jungen Crusher. Er gab ihm sogar seinen zweiten Vornamen, denn er selbst hieß mit vollem Namen Eugene Wesley Roddenberry.

Zwischendurch stand kurz zur Debatte, dass es schon übermäßig viele männliche Kindergenies im Fernsehen gab, also wurde im Zuge der Gleichberechtigung aus Wesley für kurze Zeit Leslie, bis man schließlich Wheaton castete. Zurück zu Wesley also.

Ein Charakter fehlte in der Bibel gänzlich und war im Pilotfilm nur als Statist im Hintergrund vorgesehen, überzeugte jedoch durch seine Darstellung und das Kolorit, das er auf die Brücke brachte, so sehr, dass man ihn kurzerhand zum neunten Hauptdarsteller eines ohnehin schon großen Ensembles machte: Der klingonische "Marine" Worf.

Zu guter Letzt: der Captain. Kein impulsiver Mann der Tat wie James T. Kirk, sondern ein Träumer, Philosoph und Denker sollte Jean-Luc Picard sein und damit sinnbildliche Verkörperung ebenjenes perfekten Menschen. Aus diesem verkopften Weltbild stammt dann auch die Idee, dass der Captain niemals das Schiff verlässt - unter Versicherungsgesichtspunkten eigentlich klug - und stattdessen seinen Stellvertreter Riker Außenmissionen bestreiten lässt, der Kirk viel ähnlicher ist.

So war Jonathan Frakes zu Anfang der Serie tatsächlich "Action Man" und damit der zweite Hauptdarsteller, auch wenn er diesen Rang über die kommenden sieben Jahre immer weiter zurückfahren musste. Denn: Picard ist vielleicht perfekt und zurückhaltend, nicht aber dessen Schauspieler und seine Forderungen, doch das ist eine Geschichte für einen anderen Tag.

Wunschbesetzung von Gene Roddenberry für die Rolle des Picard war Stephen Macht, doch auch Namen wie Patrick Bauchau und Bond-Bösewicht Yaphet Kotto kamen in die engere Auswahl. Schließlich brachte Produzent Robert Justman den Shakespeare-Mimen Patrick Stewart ins Rennen.

Alle favorisierten den gediegenen Briten, nur nicht Chef Roddenberry, denn Stewart hatte unerhörterweise eine Glatze und so etwas wie Haarausfall gab es unter den perfekten Menschen des 24. Jahrhunderts nicht mehr. Roddenberry musste lange Zeit bearbeitet werden, bis er sich schließlich mit der perfekten Besetzung in Form von Stewart anfreunden konnte. Es existieren sogar Testaufnahmen, in den Stewart ein Toupet trägt.

    • Kommentare (20)

      Zur Diskussion im Forum
      • Von aga74 Stille/r Leser/in
        Schöner Artikel!

        Ich habe TNG, DS9 und Voyager dieses Jahr erst noch mal durch-gesuchtet...und muss sagen die Geschichten haben nix an ihrer Aktualität eingebüßt. Effekte sind vielleicht etwas angestaubt, aber daran gewöhnt man sich sehr schnell. SciFi mit Moral - das gibt's eigentlich nur bei Star Trek. Da kam für mich eigentlich nur noch Babylon 5 ran...

        Und was die neuen Serien angeht, da halt ich mich an den Kodex von Star Trek: Toleranz! Ich mag die eigentlich alle. Aus den unterschiedlichsten Gründen. Ganz vorn natürlich "Picard". Die letzte Staffel war der Hammer - und Fanservice pur.
        Ich kenne das TNG Team auch persönlich von diversen Conventions, und es ist unglaublich wie dicke die noch alle miteinander sind. Diese "Familie" die ja viele Serien-Casts für sich propagieren ist bei der Crew von TNG absolut real. Immer wieder schön wenn ich der quirligen Sirtis's Geschichten von "old boldy" lauschen darf. :D Durch dieses Wissen um diesen Zusammenhalt der Schauspieler macht das Schauen der alten und neuen Folgen nochmal extra viel Freude.
      • Von aga74 Stille/r Leser/in
        Schöner Artikel!

        Ich habe TNG, DS9 und Voyager dieses Jahr erst noch mal durch-gesuchtet...und muss sagen die Geschichten haben nix an ihrer Aktualität eingebüßt. Effekte sind vielleicht etwas angestaubt, aber daran gewöhnt man sich sehr schnell. SciFi mit Moral - das gibt's eigentlich nur bei Star Trek. Da kam für mich eigentlich nur noch Babylon 5 ran...

        Und was die neuen Serien angeht, da halt ich mich an den Kodex von Star Trek: Toleranz! Ich mag die eigentlich alle. Aus den unterschiedlichsten Gründen. Ganz vorn natürlich "Picard". Die letzte Staffel war der Hammer - und Fanservice pur.
        Ich kenne das TNG Team auch persönlich von diversen Conventions, und es ist unglaublich wie dicke die noch alle miteinander sind. Diese "Familie" die ja viele Serien-Casts für sich propagieren ist bei der Crew von TNG absolut real. Immer wieder schön wenn ich der quirligen Sirtis's Geschichten von "old boldy" lauschen darf. :D Durch dieses Wissen um diesen Zusammenhalt der Schauspieler macht das Schauen der alten und neuen Folgen nochmal extra viel Freude.
      • Von Nevrion Spiele-Enthusiast/in
        Hab die Serie zwar als Kind sicher mitbekommen, ich denke sogar auf SAT1, aber ich sehe mich nicht als Star Trek Fan. Hängen geblieben ist davon vor allem die deutsche Neusynch einzelner Episoden, die als "sinnlos im Weltraum" bekannt wurden. Ist für mich immer untrennbar mit Picard und Co verbunden und so gesehen, kann ich Ryker ("Meint der mich wenn er Ryker sagt?") und Co heute auch nicht mehr ernst nehmen, weil immer dass Abbild von "Sinnlos im Weltraum" durch meinen Kopf schwirrt.
      • Von ZAM Spiele-Kenner/in
        Wie immer, schöner Artikel Herr Filmeonkel. ^^

        ENT, TOS, TNG, DS9 und VOY sind der einzige Grund, warum ich Netflix noch habe. Wenn es da weg ist, darf P+ gern mal zeigen, was es so hat. ^^
      • Von fud1974 Spiele-Kenner/in
        Zitat von Neawoulf
        Und generell mochte ich den Optimismus bzgl. der Zukunft der Menschheit in der Serie. Das vermisse ich sehr an neueren (nicht nur) Star Trek Serien und Filmen und ich gehe davon aus, dass man das nicht mehr macht, weil es sich nicht so gut verkauft, weil es nicht zum aktuellen "Zeitgeist" passt.

        Aber ich glaube die Menschheit braucht in einer Zeit der Krisen, wie z. B. der zurückliegenden Corona Pandemie, der Aggression der russischen Regierung und der generellen Unzufriedenheit und Wut vieler Leute, wieder optimistischere Zukunftsvisionen, selbst wenn sowas anfangs evtl. nicht so viele Zuschauer anlockt, wie düsterere Geschichten.
        Ach, nun ja, noch ist nicht alle Hoffnung verloren was das angeht (passt ja.. :P)

        Tatsächlich war in den letzten Jahren eher "dirty" und "dark" in, aber das ist halt auch immer ein Zeitgeist - Ding. Einige hat das naiv-zukunftsfreudige "wir sind die guten" Szenario von solchen Serien (egal ob TV oder anderweitig) halt immer auch gestört... Wir träumten als Teenager in den Endachzigern frühen Neunzigern eher davon, dass mal so richtig der (Cyber)punk abgeht, und nicht Leute in schnieken Uniformen was von Werten faseln... :P

        Zumindest meine Fraktion war so, aber wie man sieht gab und gibt es da Unterschiede.

        Aber wie gesagt, gibt auch Entwicklungen wieder zurück in die zukunftsfreudige Ecke, und das ist ja auch gut so, zumindest im Brettspielbereich.

        Stichwort: "Hopepunk"

        Nein, das habe ich jetzt nicht erfunden.

        [Ins Forum, um diesen Inhalt zu sehen]
      • Von sauerlandboy79 Spiele-Guru
        Zitat von MrFob
        Also ich schau ja auch gerade wieder immer mal hier und da ne Folge. Bin in Staffel 4 und habe natuerlich (wie fast immer) die gegenteilige Meinung zu [Ins Forum, um diesen Inhalt zu sehen] . :-D

        So viele gute Folgen! Data's Day, eine etwas leichtere Episode und wahrscheinlich eine meiner Lieblings ST Folgen ueberhaupt, The Drummhead mit Picard's bekannter Ansprache: "with the first link, the chain is forged" (auch heute noch sehr relevant die Folge, vor allem Picards Schlussgespraech mit Worf). The Wounded, wo wir zum ersten mal die Cardassianer kennenlernen. The Mind's Eye, in der die Romulaner nochmal so richtig fies sein duerfen und dann der ganze Klingonen-Arc, der sich ueber 2 Staffeln aufbaut um dann im Finale von Staffel 4 einen Hoehepunkt erlangt.

        Die ersten beiden Staffeln, ja ok, hatten mehr Tief- als Hoehepunkte, das ist richtig aber TNG als Ganzes ist einfach peak Trek.

        Das waren halt mal richtig gute Drehbuecher und exzellent gespielt. Da konnte mMn Voyager nie so recht mithalten. Aber so hat eben jeder seine Vorlieben und das ist ja auch ok so. ;)
        Niemand muss meine Meinung teilen, ist auch vollkommen okay. Genauso hinsichtlich Voyager. ;-)

        Die damals noch leicht vorhandene Faszination von TNG verspüre ich heute einfach nicht mehr, was mitunter auch daran liegt dass TOS die eigentliche Serie meiner Kindheit war. Ohne die Beliebheit von Picard und Co. runtermachen zu wollen, aber die Kirk-Crew als Ganzes funktionierte einfach perfekt. TNG war da mit Crusher und teilweise mit Troi hingegen ein wenig "bestraft". ^^
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