Heute kennen wir Thief: The Dark Project als Stealth-Klassiker. Die Entwicklung des Ego-Schleichers stand jedoch mehr als einmal auf der Kippe.
Seit dem Erscheinen von Doom im Jahr 1993 schritt die Evolution der First-Person-Computer- und Videospiele rasant voran. Titel wie Duke Nukem 3D oder auch Quake dominierten im Jahr 1996 den Markt: schnell, actionreich und bildgewaltig. Viel Taktik war hier nicht gefragt, wohl aber gute Auge-Hand-Koordination an Maus und Tastatur.
Doch während die Actionspiele von id Software und 3D Realms den Mainstream eroberten, versuchten sich andere Entwicklerteams bereits an den Möglichkeiten des noch jungen Genres.
US-Entwickler Looking Glass Studios präsentierte mit System Shock 1994 einen mutigen Science-Fiction-Genremix, der Rollenspielelemente mit First-Person-Action kombinierte. Die später auf CD-ROM veröffentlichte Enhanced Edition setzte mit integrierter Sprachausgabe und einem starken erzählerischen Fokus Maßstäbe und gilt als Wegbereiter für Titel wie Half-Life (1998).
Das Problem: Looking-Glass-Spiele waren Kritikerlieblinge, verkauften sich aber im Vergleich zur angesprochenen Konkurrenz eher mäßig. Das Entwicklerteam benötigte dringend einen Verkaufserfolg - und deshalb sollte das nächste große Projekt deutlich massenkompatibler ausfallen.
Quelle: Moby Games Am Ende einer über zweijährigen Odyssee stand schließlich Thief: The Dark Project(bei uns als Dark Project: Der Meisterdieb veröffentlicht) am 1. Dezember 1998 in den Händlerregalen. Ein mittelalterliches Stealth-Abenteuer, das sich von der Konkurrenz absetzte und ein neues Subgenre der First-Person-Spiele eröffnete.
Startschuss mit Untoten
Ein noch junger Ken Levine (später unter anderem bekannt für Bioshock) stieß im Oktober 1995 zu Looking Glass hinzu. Der damals 29-Jährige wollte eigentlich als Drehbuchautor in die Filmbranche einsteigen, war aber ein großer Fan von Ultima Underworld und bewarb sich auf eine Stellenanzeige. Levine besaß keine Entwicklererfahrung, deshalb wurde ihm Doug Church als Mentor zur Seite gestellt.
Levines Hauptaufgabe bestand im Entwickeln und Schreiben der Spielwelt und deren grundsätzlicher Ästhetik. Seine ersten Ideen waren allerdings arg extravagant und hörten etwa auf Projektnamen wie School for Wizards, Dark Elves Must Die und schließlich Better Red Than Undead.
Letzteres spielte in einer kruden Abwandlung des Kalten Krieges, wie Doug Church in einem Interview für Game Design: Theory and Practise (Second Edition) ausführte:
"Man kämpfte in der Zeit des kommunistischen Kalten Krieges gegen Zombies, rannte herum und bildete verschiedene Gruppen - kommunistische Spione und Regierungen sowie westliche Regierungen und all diese verschiedenen Spionageorganisationen. In der Zwischenzeit versuchten die Zombies, alle zu übernehmen. Man musste sich aussuchen, mit welchen Parteien man sich verbünden und gegen wen man vorgehen wollte, während alle diesen gemeinsamen Feind, die Zombies, hatten."
Quelle: Moby Games Wenig überraschend fand diese Prämisse wenige Fürsprecher. Deutlich besser kam das im Frühling 1996 erdachte Konzept von Dark Camelot an. Darin stellte das Looking-Glass-Team die Sagenwelt auf den Kopf: König Artus als wahnsinniger Herrscher, Merlin als Psychopath und der Gral ist nur eine Erfindung.
Als Spielcharakter diente Ritter Mordred, der gemeinsam mit seiner Beraterin Morgan le Fay gegen die Tafelrunde vorgehen sollte. Doch während die Gameplay-Idee der Gruppierungen in der Konzeptphase ins Leere lief, fiel schnell auf, dass gerade die Missionen, in denen Mordred in Camelot einbrechen und etwa einen Gegenstand stehlen musste, am besten funktionierten.
Chef-Programmierer Tom Leonard erklärte im Postmortem gegenüber Gamedeveloper.com: "Obwohl die Entwicklung auf dem Papier angeblich schon seit einem Jahr im Gange war, begann Thief realistischerweise Anfang 1997, nachdem das Spiel als Action-/Adventure-Diebstahlspiel in einer düsteren Fantasy-Umgebung neu positioniert wurde. Bis zu diesem Zeitpunkt verfügten wir nur über einen kleinen Teil der Grafik, des Designs und des Codes, die es letztendlich in die Vollversion schaffen würden. Die vollständige Entwicklung begann im Mai 1997 mit einem Team, das fast ausschließlich aus Leuten bestand, die zum Start des Projekts noch nicht an Bord waren."
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Der Dieb setzt sich durch
Im Verlauf der Monate wurde klar, dass das Motiv des Diebes die Richtung war, in die man gehen wollte. So erklärte Doug Church, dass allein der Name "Thief" Interessierten sofort klarmachte, worum es im Spiel gehen würde. Was macht ein Dieb? Klare Sache: Er schleicht herum, bleibt im Dunkeln und versucht, möglichst nicht entdeckt zu werden.
Wunderbar, ganz wunderbar.
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Ich gebe mal ein paar Tipps zum Anschauen ab:
- die Minimal-HUD, die möglichst wenig vom Bildschirm einnimmt
- die In-Universe-Karten, an denen man sich orientieren muss
- der 3D-Sound, der gelegentlich sogar mit alldem verknüpft ist -- so muss man sich in den Bonehoard-Gruftlabyrinthen daran orientieren, um sein Ziel zu finden, ein magisches Horn, das schon von weitem erklingt
- damals fortschrittliche KI und Physik
- Cutscenes ausschließlich zwischen Missionen, nie als Unterbrechung während Gameplay
- Levels als Sandboxen mit mehreren Möglichkeiten und Lösungen
- kein Marker, kein Bullshit nur du und deine 3D-Umgebung
Ich mache es konkreter. Und zitiere Looking-Glass-Alumni letztens in einer Retrospective auf System Shock:
We were trying to build the holodeck.
Looking Glass näherten sich mit ihrer Software dem Thema virtuelle Realität an -- lange, bevor das ein (teurer) Hardwarehype war. In einer Ära, in der einen jedes zweite Spiel an jeder dritten Ecke daran erinnert, bloß ein Spiel zu spielen, wird Thiefs Ansatz mehr vermisst denn je.
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Und ziemlich zeitgleich mit Thief 1 (ein paar Monate vorher, glaube ich) gab es auch noch das WW2 Taktikspiel Commandos: Behind Enemy Lines, das ich auch als reinrassiges Stealth-Spiel sehen würde, aber das ganze mit seiner RTS-artigen Perspektive und Steuerung nochmal auf eine ganz andere Weise umsetzt.
Stealth alleine würde ich daher auch nicht als Genre sehen, sondern eher als Gameplayelement.
Thief war ja nicht nur Stealth, sondern vor allem auch Immersive Sim und spiritueller Nachfolger von Ultima Underworld und System Shock. Man bekommt komplexe Levelarchitektur, ein immersives Setting, "intelligente" Gegner und nen riesen Haufen an Werkzeugen, Fähigkeiten und Informationen und kann sich damit frei austoben und Lösungen improvisieren, um das Ziel zu erreichen. MGS war für mich dagegen eher ne Ansammlung aus kurzen Steath-Levels, die durch Cutscenes zusammengehalten wurden. Bin mit der Reihe nie so wirklich warm geworden im Gegensatz zu Thief & Co.
Für mich nach wie vor eines der interessantesten Spielkonzepte überhaupt und ich finde es echt schade, dass das Genre bis heute nie so richtig durchgestartet ist. Es gab nach Thief zwar noch Deus Ex, Dishonored, Arx Fatalis, Prey (2017) und aktuell Gloomwood im Early Access, aber diese Spiele sind leider ziemliche Ausnahmetitel und große Entwickler und Publisher scheinen sich davor zu fürchten, weil ein Großteil der Spieler vermutlich lieber unkompliziertere und gescriptetere Spielkonzepte bevorzugt, die sich auch besser in Trailern bewerben lassen.
Thief 2 ist für mich (zusammen mit Dishonored 2) der Höhepunkte des Genres. Leveldesign, Stealthmechaniken, Setting, Atmosphäre... kann ich 100x mehr mit anfangen, als mit den ganzen 3rd Person Action Adventures, die seit Assassin's Creed den Triple-A Markt dominieren.