Kolumne: Wir brauchen weniger spießige Sportspiele

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Special Christian Fussy - Redakteur
Kolumne: Wir brauchen weniger spießige Sportspiele
Quelle: PC Games

Chris Fußy findet, dass Sportspiele das Potenzial haben, mehr zu sein als ein jährliches Grafikupdate. Sie sind ein potentes Tool, um eine fesselnde Geschichte zu erzählen und würden davon profitieren, sich ein paar Dinge bei anderen Genres abzuschauen.

Obwohl meine Lieblingsspiele eher aus den Bereichen RPGs, Jump & Run oder Strategie kommen, habe ich auch eine Schwäche für das gelegentliche Sportspiel. Egal ob auf Konsole oder PC - schaue ich mir meine Spielesammlung an, finden sich zwischen den Dragon Ages, XCOMs und Marios auch einige Teile der FIFA-Reihe, ein paar Rennspiele, mehrere Tony Hawks und ein ganzer Haufen WWE Wrestling. Trotz nostalgischer Gefühle für alle dieses Reihen, würde ich es mir trotzdem zweimal überlegen, einen neuen Teil dieser Institutionen bei Launch zu kaufen.

Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass sich Sportspiele selten wirklich radikal weiterentwickeln oder verändern. Spieler wissen, was sie vom neuen FIFA wollen und kaufen es genau deswegen. Ein Bruch mit dem Etablierten wäre für Publisher EA hochriskant und finanziell verantwortungslos. Außerdem ist Fußball nun mal Fußball. Was will man da groß verändern, außer jedes Jahr den Detailgrad hochschrauben, die Mechaniken etwas überarbeiten und die Kader anpassen?

Nun, ich hätte da ein paar Ideen...

Eier, wir brauchen Eier

Ich möchte hier nicht argumentieren, dass an FIFA, NBA und Co. unbedingt grundlegende Veränderungen vorgenommen werden müssen. Diese Spiele sind mechanisch fein und haben so wie sie sind absolut ihre Daseinsberechtigung. Was ich gerne hätte, ist schlicht eine Gegenbewegung zu den Lizenzprodukten, die den Fokus von einer akkuraten Präsentation wegbewegt und um Geschehnisse abseits der Matches erweitert.

Zwar ist es schön, dass FIFA mittlerweile aussieht und klingt wie eine echte Fußballübertragung und das arcadige Tony Hawk Pro Skater genau den Geist des 90er-Jahre Skater-Hypes einfängt, ich finde jedoch, Sportspiele könnten noch so viel mehr, wenn sie einfach komplett freidrehen würden.

Meine Lieblingssportspiele der letzten Jahre sind nicht etwa FIFA oder UFC, sondern Golf Story für die Nintendo Switch und Supergiant Games' Pyre. In meiner zugegebenermaßen recht weiten Auslegung des Begriffs Sportspiele schließe ich alle Spiele ein, deren Core Gameplay Loop aus abgeschlossenen Matches besteht oder die auf einer realen Sportart basieren.

Ist das überhaupt noch Sport?

In Pyre kontrolliert ihr diverse Charaktere, die in der Unterwelt gefangen sind und aus dieser entkommen wollen. Um das zu erreichen, spielt ihr eine Art Rugby, bei der ein Orb in das Lagerfeuer (=Pyre) des gegnerischen Teams getragen werden muss. Das klingt recht Banane, ergibt aber Sinn im Kontext der Spielwelt. Die Mechanik, die mich an Pyre am meisten erstaunt hat, ist, welchen Einfluss kleine strategische Entscheidungen auf die Geschichte des Spiels haben können. So erfahrt ihr beispielsweise mehr über eine Figur, je öfter ihr sie aufstellt. Ist eure Beziehung weit genug fortgeschritten, könnt ihr die Figur dann aus der Unterwelt an die Oberfläche schicken und sie scheidet permanent aus dem Spiel aus. Solche Momente sind dann auch richtig emotional.

Doch nicht nur mit dem eigenen Team werden Beziehungen intensiviert, sondern auch mit den Spielern des Gegners. Begegnet ihr demselben Team mehrmals, so erfahrt ihr auch die Hintergrundgeschichte dieser Charaktere. Je nach Ausgang der Matches und euren Entscheidungen wird der Umgang freundlicher oder die Rivalität größer.
Pyre Quelle: PC Games Pyre
Dadurch wird das Match-Korsett zu einem fantastischen Storytelling-Werkzeug, eine Technik, die Supergiant Games auch ganz formidabel im Nachfolgerspiel Hades nutzt. Dort versucht der Sohn des namensgebenden griechischen Gottes aus der Unterwelt auszubrechen (was sonst) und stößt bei seinen Fluchtversuchen immer wieder auf dieselben Gegner, die ihn auf vergangene Runs ansprechen und deren Geschichte sich dadurch immer weiter entfaltet.

Das ließe sich doch auch gut auf sämtliche andere Sportspiele übertagen. Interviews vor und nach dem Spiel könnten zu Feinseligkeit oder Freundschaft führen, ebenso wie Aktionen im Spiel. Ein Tor in der 90. Minute ist richtig bitter und bleibt in den Köpfen von Fans, Spielern und Trainern. Ein böses Foul zieht den Hass der gesamten Nordkurve auf sich und führt zu langer Ablehnung zwischen zwei Vereinen. Ein Tennisduell wird zum Ausdauertest für zwei erbitterte Rivalinnen. Zwei Brüder treffen in einem Eishockey-Pokalfinale aufeinander und liegen sich nach dem Spiel in den Armen. Ein Boxer trifft im Ring auf seinen Mentor. Sport lebt von solchen kleinen Geschichten und Rivalitäten.

(11) Freunde müsst ihr sein

Golf Story ist ein etwas konventionelleres Sportspiel, schlägt aber in dieselbe Kerbe. Hier spielt ihr einen Underdog, der die Welt des Golfsports aufmischt. Die einzelnen NPCs, Gegner, Turniere und die Spielwelt, in der sich wirklich alles um Golf (und gelegentlich Frisbee) dreht, haben dabei einen solchen Donnerwettercharme, dass man sich glatt mehr für die Entwicklungen abseits des Courts interessiert. Dabei bietet Golf Story aber tatsächlich ein verdammt gutes Golf-Erlebnis, das auch außerhalb der Kampagne solo und im Mehrspielermodus Laune macht.

Auch hier sehe ich viel Potenzial für andere Sportsimulationen, das teilweise auch schon erkundet wird. In der Football-Manager-Reihe bekommt man beispielsweise als Trainer umfangreichere Möglichkeiten, wie man in Interviews mit der Presse agiert oder mit den eigenen Spielern spricht. So definiert sich der eigene Charakter und man bekommt den Eindruck, dass Trainer, Spieler und Reporter keine Roboter sind, sondern unterschiedliche Charakterzüge besitzen. Aber wäre es nicht viel interessanter, Trainer eines Teams zu sein, dessen verschiedene Spieler-Persönlichkeiten sich nicht nur aus Statistiken errechnen?

Golf Story lässt einen tatsächlich teilhaben an den Problemen, Hoffnungen und Ängsten der Figuren, wodurch in den Partien gleich mehr auf dem Spiel steht und man als Spieler*in zusätzlich motiviert ist, weil man wissen will, wie es mit der Geschichte weitergeht. Rocky wäre ja auch kein Klassiker, würden die Figuren nur 90 Minuten lang Boxen.
Der Golf Story-Nachfolger Sports Story wurde bereits angekündigt und erscheint womöglich noch 2020.   Quelle: Sidebar Games Der Golf Story-Nachfolger Sports Story wurde bereits angekündigt und erscheint womöglich noch 2020.  
Ich würde mir ein System vorstellen, ähnlich dem aus der Fire Emblem-Reihe. Im jüngsten Teil Three Houses übernimmt man die Rolle eines Lehrers bzw. einer Lehrerin und muss eine Handvoll Studenten an einer Art Hogwarts-Militärakademie ausbilden. Man kann Beziehungen zu den einzelnen Schülern aufbauen und sogar Figuren aus anderen Häusern abwerben.

Das Gefühl der Verantwortung, das man für diese Figuren empfindet, steigt dadurch an und es entsteht eine richtige Bindung zum eigenen Team. Dasselbe Konzept könnte sich doch leicht auf Sport übertragen lassen. Ich würde gerne die Mitglieder der von mir trainierten Damen-Volleyballmannschaft kennen lernen und im Vereinsbus nach einem gewonnenen Pokal mit ihnen feiern oder nach einem Tennis-Turnier mit meinem Gegner ein Bier trinken gehen.

Sport-Storytelling ist längst nichts Neues

Sowohl in Pyre als auch in Golf Story sind die grundlegenden Mechaniken und Herausforderungen absolut solide und dennoch abwechslungsreich, so wie es in einem Sportspiel sein muss. Sie bieten durch ihren Fokus auf Charaktere und Spielwelt aber so viel mehr. Ich sage gar nicht, dass FIFA besser wäre, hätte jeder Spieler eine einzigartige Persönlichkeit. Was ich sage, ist, dass es auch Spiele braucht, die sich anderen Aspekten des Sports zuwenden und deren erzählerisches Potenzial ausnutzen. Oder wie in Pyre Sportspielmechaniken nutzen und diese in einen komplett anderen Kontext verfrachten.

Wrestling Entertainment macht sich dieses Sport-Korsett als Storytelling-Tool seit jeher zunutze und zeigt eindrucksvoll, wo Videospiele ansetzen können. Die Umsetzungen des WWE Wrestling-Formats von 2K Games und Yuke's bzw. Visual Concepts gehen auch schon in die richtige Richtung, bieten jedoch von Jahr zu Jahr zu wenig Innovation und sind allgemein etwas eingefahren und konservativ. Möglicherweise gibt es dort aufgrund des Aufstiegs rivalisierender Wrestling-Ligen aber bald Bewegung.

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Doch egal ob es um Sport-Performance geht oder um das echte Ding: Für mich ist es Zeit, dass Entwickler über den Tellerrand hinausblicken und sich von allen Seiten inspirieren lassen. So würde sich dann vielleicht auch bald eine ganz neue Zielgruppe für Sportspiele begeistern.

    • Kommentare (7)

      Zur Diskussion im Forum
      • Von Spiritogre
        Zitat von LesterPG
        Ich als bekennender Fußballverweigerer/-hasser habe früher durchaus einige Sportspiele inkl Fussball ! gespielt (da waren es aber noch kleine Meneken von oben)
        Sogar die US "Etappensportarten" (Football, Baseball) habe ich gespielt, Summergames, Wintergames, Tennis etc.

        Richt hängengeblieben bin ich nur bei Geoff Crammonds Formel1 Spiele, die waren Kult und sind mMn unerreicht.
        Klar gibt es modernere, optisch ansprechendere F1 Games, aber dort wie auch bei aktuellen Fifas etc. fehlt mir die Zugänglichkeit und das Verständnis den Unsinn jedes Jahr ein neues zu erwerben wo sich doch kaum etwas verändert hat, was das Spiel spielerisch weiter bringt !
        Ja gut, auf dem C64 habe ich auch alles gespielt, was es gab: Soccer (sogar auf Modul gehabt), Decathlon, alles aus der Games Reihe von Epyx was es nur gab, wobei das natürlich insbesondere Multiplayertitel mit Kumpels waren, Sensible Soccer, Microprose Soccer, etc. pp. solche Sachen aber eben tatsächlich dann hauptsächlich mit Kumpel. Erst ab den 90ern wo die Titel dann ausgereifter und "realistischer" wurden fiel halt Fußball mangels Desinteresse bei mir komplett raus, bis eben Mario Soccer kam (war zugegeben bei meinem Gamecube bei), das war dann schon richtig lustig.

        F1 interessiert mich eigentlich auch nicht sonderlich. Die Autos sehen alle gleich aus, ich mag da lieber "richtige" Autos. Und jährliche Updates gehen auch total an mir vorbei, eben weil sich grafisch kaum was ändert. Fifa und Co. sind halt tatsächlich rein für Fans. Und ich gehe auch konform mit, dass die es eher konservativ, sprich realistisch mögen und mit Fun-Sport Elementen nicht viel anfangen können.
      • Von Spiritogre
        Zitat von LesterPG
        Ich als bekennender Fußballverweigerer/-hasser habe früher durchaus einige Sportspiele inkl Fussball ! gespielt (da waren es aber noch kleine Meneken von oben)
        Sogar die US "Etappensportarten" (Football, Baseball) habe ich gespielt, Summergames, Wintergames, Tennis etc.

        Richt hängengeblieben bin ich nur bei Geoff Crammonds Formel1 Spiele, die waren Kult und sind mMn unerreicht.
        Klar gibt es modernere, optisch ansprechendere F1 Games, aber dort wie auch bei aktuellen Fifas etc. fehlt mir die Zugänglichkeit und das Verständnis den Unsinn jedes Jahr ein neues zu erwerben wo sich doch kaum etwas verändert hat, was das Spiel spielerisch weiter bringt !
        Ja gut, auf dem C64 habe ich auch alles gespielt, was es gab: Soccer (sogar auf Modul gehabt), Decathlon, alles aus der Games Reihe von Epyx was es nur gab, wobei das natürlich insbesondere Multiplayertitel mit Kumpels waren, Sensible Soccer, Microprose Soccer, etc. pp. solche Sachen aber eben tatsächlich dann hauptsächlich mit Kumpel. Erst ab den 90ern wo die Titel dann ausgereifter und "realistischer" wurden fiel halt Fußball mangels Desinteresse bei mir komplett raus, bis eben Mario Soccer kam (war zugegeben bei meinem Gamecube bei), das war dann schon richtig lustig.

        F1 interessiert mich eigentlich auch nicht sonderlich. Die Autos sehen alle gleich aus, ich mag da lieber "richtige" Autos. Und jährliche Updates gehen auch total an mir vorbei, eben weil sich grafisch kaum was ändert. Fifa und Co. sind halt tatsächlich rein für Fans. Und ich gehe auch konform mit, dass die es eher konservativ, sprich realistisch mögen und mit Fun-Sport Elementen nicht viel anfangen können.
      • Von Edolan Spiele-Novize/Novizin
        Gehöre zwar nicht zur Zielgruppe glaube aber dass das nicht bei allen gut ankäme, ich spiele zur Zeit oft Indispiele ohne großer Story, einfach weil mir gerade die Zeit fehlt. Sportspiele haben doch auch den Charme das man mal auf die Schnelle ne Runde zocken kann, ohne vorher gefühlte 5 Stunden Rendervideos betrachten zu dürfen.
      • Von Gast1690924202
        Jo, ein Fifa mit Captain Tsubasa story würd ich mir gönnen^^
      • Von LesterPG
        Zitat von Falconer75
        Super Ideen, die Chris in dem Artikel nennt. Das würde wirklich frischen Wind in die extrem konservative Sparte der klassischen Sportgames bringen.
        Ich bin da eher als Sportspiel Außenseiter sicherlich nicht die Stimme, aber skeptisch ob derartige Elemente die Hardcorefans nicht sogar eher abschrecken würden.
        EA weiß sicherlich recht genau warum sie so konserativ entwickeln, überschaubare Planung sowie die schreckhaften Rehe (Fans) nicht verschrecken dürfte dort wesentlich erfolgreicher sein als was wirklich neues einzubauen, einige Andere anzulocken und dafür die Rehe zu verscheuchen.
        Als optionalen Zusatzstoff könnte das wiederum funktionieren, aber ob sich das dann rechnet
      • Von Falconer75 Hobby-Spieler/in
        Super Ideen, die Chris in dem Artikel nennt. Das würde wirklich frischen Wind in die extrem konservative Sparte der klassischen Sportgames bringen.
      Direkt zum Diskussionsende
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