Der Albtraum von Greenpeace: Wie Impossible Creatures die Gaming-Welt (nicht) veränderte - Retro Special

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Special Christian Fussy - Redakteur
Impossible Creatures (2003)
Quelle: PC Games

Inspiriert von der Insel des Doktor Moreau, klonen wir im Echtzeitstrategiespiel Impossible Creatures aus der DNA wilder Tiere hörige Kampfmaschinen zusammen. Im Retro-Special blicken wir zurück auf den abgefahrenen Steampunk-Spaß.

Charles Darwin notierte bei einer Forschungsreise durch Südamerika einst, dass das Maultier, eine Kreuzung aus Pferd und Esel, seinen Eltern in jedweder Hinsicht überlegen sei. Der Wissenschaftler konstatierte begeistert, die Kunst habe hier die Natur übertroffen. Hätte er vorher jedoch unseren majestätischen Schweinebären gesehen, wäre der alte Streber wahrscheinlich nicht so einfach zu begeistern gewesen.

In Impossible Creatures (jetzt kaufen 43,95 € / 8,99 € ) können wir zwei komplett verschiedene Tiere zu einer Kreatur kombinieren. In Verachtung der Götter vermischen wir Chamäleon mit Tiger, Ameise mit Pottwal, Lemming mit Zebra. Mittels des im Spiel integrierten Editors lassen sich nach Lust und Laune komplett bescheuerte Viecher kreieren, die dann in Armeen gegeneinander antreten. Ein Konzept, so simpel und genial, dass man sich wirklich wundert, warum es bis heute keine wirklichen Nachahmer gibt.

13:05
Impossible Creatures | RETRO | Frankensteins Haustier

Das Spiel erschien 2003 gegen Ende einer absoluten Hochphase für Echtzeitstrategiespiele. Mit Age of Empires 2, Starcraft, Warcraft 3, Empire Earth und Age of Mythology sowie Command & Conquer: Alarmstufe Rot und Generals kamen von 1999 bis Mitte der 2000er einige der besten Vertreter des Genres auf den Markt, weshalb Impossible Creatures im Strom der Zeit vielleicht ein wenig unterging.

Umso wichtiger, dass wir das verrückte Experiment aus der Frühphase von Relic Entertainment im Retro-Check mal auf seine DNA herunterbrechen und ihm gleichzeitig ein paar wohlverdiente Streicheleinheiten zu geben.

Es gibt mehrere Spielmodi, allen voran die Kampagne, in der wir uns als Abenteurer Rex Chance auf die Spuren unseres verschollenen Vaters begeben. Der ist ein durchgeknallter Wissenschaftler und hat die Tierexperimente, um die sich das Gameplay dreht, überhaupt erst möglich gemacht. Bei seinen Forschungen geriet er mit zwielichtigen Charakteren aneinander, die ihn töteten und seine Forschungen nun für üble Zwecke missbrauchen. Mithilfe seiner ehemaligen Assistentin Lucy sagen wir den Schurken den Kampf an und retten Papas Vermächtnis.

Dazu sammeln wir die DNA der örtlichen Fauna und kombinieren diese zu Tiersoldaten. Anders als im Freien Spiel müssen wir erst die Karte nach Tierarten absuchen, um sie unserem Arsenal hinzuzufügen, bevor wir mit dem Klonen anfangen können.

Impossible Creatures (2003) Quelle: PC Games

Zoologen hassen diesen Trick

Das Gameplay, das sich außerhalb des Labors abspielt, funktioniert nach den Strategiespiel-Konventionen der 2000er. Wir bilden Gehilfen aus, um Kohlevorkommen abzubauen, und errichten damit Generatoren, um Elektrizität herzustellen. Mit diesen beiden Ressourcen bauen wir Gebäude, kaufen Einheiten und rufen unsere Kreaturen auf das Schlachtfeld.

Die sammelbaren Tiere sind in fünf Stufen unterteilt, die in etwa ihre Fähigkeiten widerspiegeln. Je nachdem, mit welchen anderen Tieren wir sie verbinden, haben auch die fertigen Kreaturen einen bestimmten Level. Zu Beginn der Kampagne sammeln wir nur niedrigrangiges Getier, in späteren Levels können wir unser Arsenal dann komplett auffüllen und haben sämtliche Optionen zur Verfügung.

Anfangs können wir auch nur Kreaturen der Stufe 1 in den Kampf rufen, erfüllen wir die Gebäude- und Rohstoffvoraussetzungen, können wir in unserer Basis den nächsten Level entwickeln. Insgesamt ist unsere Armee auf neun verschiedene Einheiten begrenzt, was bedeutet, dass wir im Idealfall Kreaturen für sämtliche Entwicklungsstufen in unserer Armee haben sollten, um nicht irgendwann von unseren Gegnern überholt zu werden. Generell gibt es aber keine Einschränkungen, wie viele Kreaturen auf welchem Level wir in unsere Truppe aufnehmen, was dem Spiel eine weitere strategische Komponente verleiht und sogar ein bisschen an einen Deckbuilder erinnert.

Impossible Creatures (2003) Quelle: PC Games Die Siegbedingungen sind hingegen immer die gleichen: alles kaputtmachen, was der Feind beherrscht. Gutes Ressourcenmanagement, Schnelligkeit und die richtige Zusammenstellung einer Armee sind die Kerndisziplinen, in denen es zu überzeugen gilt, um den Sieg an uns zu reißen.

Balancing ist bei den vielen möglichen Einheitentypen natürlich eine Baustelle für sich. Manche Kombos sehen zum Schießen aus, sind aber so gut wie unnütz und Experimentierfreude wird nur bedingt belohnt.

Am nervigsten erweist sich nach heutigen Maßstäben das Einheiten-Management und die Navigation der Spielwelt mit größeren Armeen. Will man mit einer Gruppe verschiedener Kreaturen die Karte überqueren, artet das eigentlich immer in furchtbares Micromanagement aus.

Die Kamera ist im Vergleich zu Titeln wie Age of Empires recht nah am Geschehen und die präzise Auswahl von Einheitengruppen nicht die leichteste Aufgabe, wirklich anstrengend wird es aber erst, wenn es darum geht, mit unseren Kreaturen Engpässe zu überqueren oder im Kampf irgendeine Strategie umzusetzen. Einheiten bleiben gerne mal einfach stehen, vergessen kurzzeitig, dass sie in einem Kampf sind, attackieren die falschen Ziele und blockieren sich gegenseitig ständig den Weg.

Impossible Creatures (2003) Quelle: PC Games Wir sammeln also immer wieder verstreute Kreaturen auf und verlieren in den schnellen Kämpfen oft mal die Übersicht. Auch der Einsatz von aktiven Spezialfähigkeiten gestaltet sich hakelig, da jede Attacke einzeln in der Hektik des Gefechtes gezielt werden muss. Dennoch tut das alles dem Spaß keinen Abbruch.

Die Karten sind klein genug, sodass die Störrigkeit der Kreaturen nicht so auffällt und Einheitengrenzen sorgen dafür, dass die Schlachten nicht noch chaotischer werden. Revolutionäres Gamedesign mag anders aussehen, für ein Spiel, das vor mehr als 20 Jahren erschienen ist, geht Impossible Creatures aber dennoch reichlich gut von der Hand.

Setting und Figuren

Die Story ist an Abenteuer-Groschenromane und klassische B-Movies angelehnt, spielt im Jahr 1937 und ist ganz offensichtlich inspiriert von H.G. Wells' Die Insel des Dr. Moreau. Thema und Ästhetik wecken aber auch Erinnerungen an Creature Features wie Die Fliege, Katzenmenschen oder King Kong und auch die musikalische Untermalung gemahnt an das alte Hollywood.

Das Team von Relic Entertainment bediente sich für das Design außerdem bei Elementen des Steampunk-Genres. So sind wir etwa mit einer fliegenden Dampflok unterwegs, die bei unserer Reise als Hauptgebäude dient.

Als Rex Chance und Lucy besuchen wir mehrere Inseln im Pazifik, die alle eine andere Beschaffenheit aufweisen. Von Dschungel über Wüste bis hin zu eisigen Gletschern wird reichlich Abwechslung geboten. Die archetypischen Schurken, die wir jeweils für ein paar Missionen bekämpfen, sind mit viel Humor gezeichnet und passen hervorragend zum altmodischen Vibe. Die Dialoge versprühen ebenfalls Charme, auch, wenn man einige der Jokes heutzutage wahrscheinlich nicht mehr machen würde.

Impossible Creatures (2003) Quelle: PC Games Insgesamt bietet die Geschichte einen schönen Rahmen, bringt uns die Spielfunktionen näher und nimmt ein paar genretypisch abstruse Wendungen, die zusätzlich Spaß bereiten. Die gesamte Prämisse ist natürlich herrlich lächerlich, wer Logik oder Glaubwürdigkeit von einer Retro-Science-Fiction-Story verlangt, in der Wissenschaftler Schlachten mit zusammen geklonten Monstern austragen, ist aber auch selber schuld.

Abseits der Kampagne können wir auf verschiedenen Karten im Multiplayer oder gegen die KI antreten. Wir können dafür aus vorgefertigten Armeen wählen oder eine eigene erstellen. Einheitenlimits, Spieleranzahl, Startpunkte, Ressourcen und so weiter können ebenfalls nach Lust und Laune festgelegt werden.

Eierlegende Wollmilchsau

Alles in allem bietet Impossible Creatures ein rundes Paket für Hobbystrategen, kann sich aber hinsichtlich Fülle, Spieltiefe und Balancing nicht mit den ganz Großen messen. Dafür hat der Titel aber noch ein anderes Ass im Ärmel:

Das unbestrittene Highlight ist selbstverständlich das Erstellen der eigenen Einheiten. Aus einem Pool verschiedenster Tiere können wir uns jeweils zwei herausnehmen und nach Lust und Laune Körperteile zwischen den beiden austauschen.

Es gibt Luft-, Wasser- und Landeinheiten sowie Amphibien, die sowohl schwimmen als auch an Land gehen können. Außerdem verfügen viele Tiere über Spezialfähigkeiten, die an bestimmte Körperteile gebunden sind. So kann sich der Lemming etwa mit seinen Vorderbeinen eingraben, um unerkannt an Gegnern vorbeizukommen, das Chamäleon besitzt seine charakteristische Tarnfähigkeit und der Schimpanse nutzt seine beweglichen Daumen, um Steine aufzunehmen und auf Gegner zu schmeißen.

Impossible Creatures (2003) Quelle: PC Games Rudel- oder Herdentiere haben in der Gruppe einen Bonus auf ihre Angriffs- oder Verteidigungsstärke und Tiere mit Hörnern oder Giftstacheln können im Kampf Statuseffekte auslösen.

Je nachdem, welche Teile wir von welchem Tier nehmen, ändern sich auch die Grundwerte Gesundheit, Verteidigung und die Kosten, die das Erschaffen der Kreatur im Spiel in Anspruch nehmen wird. Außerdem wird basierend auf den Fähigkeiten der Kreatur ein Level errechnet.

Die Wertevergabe ist unnötig kompliziert und bis man die richtige Kombination gefunden hat, kann schon ein bisschen Zeit vergehen. Die finalen Werte liegen teils sehr stark auseinander, was die Kreativität schon ein wenig hemmt. Wer eine tatsächlich effektive Armee aufbauen will, muss sich vor allem an den etwas undurchsichtigen Zahlen orientieren. Suboptimale Kombinationen tatsächlich spielbar zu machen, gestaltet sich schwierig und führt zu Frust, was am Ende dafür sorgt, dass von den hunderten möglichen Kombinationen nur eine Handvoll wirklich Sinn ergeben.

Wie häufig bei alten Games mit fantastischen Ideen, aber mangelhafter Ausführung, gibt es auch für Impossible Creatures eine kleine, aber kreative Modding-Community, die sich genau dieses Problems angenommen hat. Die Liste an möglichen Basistieren wurde von den Hobby-Entwicklern um einen ganzen Batzen erweitert und das Balancing so verbessert, dass fast jedes Tier auch zu einer effektiven Kreatur verschmolzen werden kann. Wir sagen: bravo!

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Der Armeebaukasten an sich ist natürlich ein schönes Spielzeug, die Erstellung eigener Figuren hat neben Unterhaltungswert aber auch noch den Effekt, dass wir eine emotionale Bindung zu unseren Einheiten aufbauen. Die Spielerschaft eigene Kreaturen konzipieren und entwickeln zu lassen, macht das gesamte Spielgeschehen schlagartig spannender, als das mit konventionellen Einheiten der Fall wäre. Von der absurden Optik über die teils komplett albernen Bewegungsanimationen ist es fast unmöglich, sich nicht in die bemitleidenswerten Chimären zu verlieben. Es macht Spaß, sie zu konzipieren, und es macht Spaß, sie zu bauen, ihre Fähigkeiten gezielt einzusetzen und zu sehen, wie sie mit den Kreaturen der Gegenseite den Boden aufwischen.

Impossible Creatures (2003) Quelle: PC Games

Impossible Sequel?

Impossible Creatures ist u.a. auf Steam und GOG verfügbar und an die Nutzung auf aktuellen Systemen angepasst. Für ein paar Stunden Spaß mit der Kampagne und die Erschaffung einiger lustiger Kreaturen lohnt sich ein Kauf allemal. Und auch im Multiplayer macht es Laune, sich im Freundeskreis mit bescheuert aussehenden Wolpertinger-Monstern zu bekämpfen.

Das Spiel sollte aber vor allem deshalb nicht in Vergessenheit geraten, weil die grundsätzliche Idee auch heute noch absolut zünden würde und es ein Einfaches wäre, sie in einem modernen Strategiespiel zurückzubringen.

Ähnlich wie z.B. in XCOM: Enemy Unknown oder vergleichbaren Taktiktiteln mit Editor ist es direkt interessanter, mit Figuren zu spielen, die man anpassen und sie so als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit nutzen kann. Grundsätzlich neue Einheitentypen zu entwerfen, geht noch einen entscheidenden Schritt weiter, und das Kombinieren von verschiedenen Tierarten trifft einen kindlichen Nerv und bietet gleichzeitig eine große Vielfalt an unterschiedlichsten Eigenschaften.

Impossible Creatures (2003) Quelle: PC Games Auf eine Fortsetzung zu hoffen, scheint uns zwar etwas überoptimistisch, zumindest einen geistigen Nachfolger könnten wir uns aber schon vorstellen.

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Das Entwicklerstudio Relic Entertainment blieb dem Strategiespiel-Genre immerhin treu. Die Kanadier arbeiteten zuletzt am dritten Teil ihrer eigenen Company-of-Heroes-Reihe und unterstützten die Entwicklung von Age of Empires 4. Von der damaligen Belegschaft sind jedoch nicht mehr viele Leute übrig. Lead Designer Jay Wilson ist mittlerweile beispielsweise bei Blizzard angestellt und war u.a. Game Director bei Diablo 3, Director Alex Garden wechselte in eine Produzentenrolle bei Nexon.

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Impossible Creatures von Relic gibt's jetzt auch bei Steam.

Impossible Creatures: RTS-Klassiker jetzt bei Steam erhältlich

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Ab sofort ist bei Steam der RTS-Klassiker Impossible Creatures in einer verbesserten Version erhältlich. Unter anderem wurde auch der MP-Modus reaktiviert.
Die Arbeiter schicken Sie zu den Kohlefeldern, Strom gewinnen Sie durch Generatoren. Der Basisaufbau ist ein Kinderspiel.

Viel versprechendes, aber enttäuschendes Echtzeit-Strategiespiel.

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Impossible Creatures beweist: Stachelschweingiraffen sind auch nicht toller als Panzer aus Command & Conquer 1.

Vielleicht obliegt es also eher einem kleineren Entwickler, in die Kerbe zu schlagen, die Impossible Creatures 2003 aufgerissen hat. Wir finden die Vorstellung, was mit einer modernen Engine und detaillierten Texturen für Kreationen möglich wären, zumindest äußerst amüsant - und vielleicht auch ein bisschen gruselig. So, wie es die meisten verrückten Experimente eben sind.

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