Meinung: Hat Bioware eine zweite Chance verdient?
Bioware steuert auf eine ungewisse Zukunft zu und blickt auf eine alles andere als ruhmreiche jüngere Vergangenheit zurück. Unser Autor Olaf Bleich hinterfragt, ob der Traditionsentwickler noch eine zweite Chance verdient hat.
"Tiefgründige Geschichten, unvergessliche Charaktere und gewaltige Welten" - so lautet der Slogan auf der offiziellen Website des kanadischen Studios Bioware. So gerne ich an dieser Stelle zustimmend mit dem Kopf nicken würde, so muss ich lediglich zynisch grinsen. Wenn man nämlich auf die letzten Spiele aus dem Hause Bioware schaut, dann trat der einstige Kult-Entwickler seine eigene Philosophie mit Füßen.
Mass Effect: Andromeda (2017) bot zwar ein ganzes Universum zum Erforschen, war aber spielerisch eintönig und technisch zum Start eine ähnliche Katastrophe wie zuletzt Cyberpunk 2077. Und während ich mich noch an unzählige emotionale Momente der frühen Mass-Effect-Trilogie erinnern kann, habe ich bei Andromeda immer nur eintönige Fließbandmissionen vor meinem inneren Auge.
Doch es kommt noch schlimmer: Anthem. Allein der Name genügt normalerweise, um für allgemeines Gelächter zu sorgen. Der Iron-Man-Shooter stand in krassem Kontrast zu alldem, was Bioware eigentlich auszeichnet. Schlecht durchdacht, uninspiriert, emotionslos und dazu auch noch zum Launch verbuggt - Anthem hat kein Fettnäpfchen ausgelassen. Aber nachdem wir jetzt klargestellt haben, dass bei Bioware in den letzten Jahren vieles schieflief, blicken wir doch mal in die Zukunft. Dort gibt es nämlich gleich mehrere kleine Hoffnungsschimmer am Horizont. Dragon Age 4, Mass Effect: Legendary Edition und Anthem Next könnten manchen Fehltritt vergangener Tage vergessen machen.
Der fette Name: Dragon Age
Ich weiß auch nicht, ob es nur pure Nostalgie ist oder ob ich einfach die großen Emotionen noch einmal in mir erwecken möchte. Doch sowohl Dragon Age 4 als auch Mass Effect: Legendary Edition sind zwei gute Gründe für mich, Bioware zumindest wieder die Hand zu reichen. Für Dragon Age 4 bestätigte das Studio zuletzt Tevinter als Setting. Das interessiert mich enorm. Die magische Region im Norden Thedas sieht in den ersten Trailern spannend und atmosphärisch aus; glühende Lichter und schwebende Bauten machen mich neugierig auf die Hintergründe.
Quelle: Electronic Arts
Auch bin ich gespannt, wie Bioware die Rolle des Helden in Dragon Age 4 lösen wird: Gerüchteweise wird es ja diesmal keinen "Auserwählten" geben, sondern einen Recken, den niemand hat kommen sehen. Bekommen wir also einen absoluten Nobody, den das eigene Schicksal zum Handeln zwingt? So spannend sich das alles anhört, so hängt doch die dunkle Wolke namens "Live-Service" über Dragon Age 4. Meldungen über Multiplayer-Optionen und globale Quests tauchten erstmals im April 2019 auf. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob mir das nach Anthem gefallen soll. Hier lasse ich mich aber überraschen, wie die Umsetzung wird und wie sich der Live-Service letztlich ins Spiel einfügt.
Die sichere Nummer: Mass Effect
Eine Ankündigung, um die ich mir keine Sorgen mache, ist Mass Effect: Legendary Edition. Sie ist für mich der Wohlfühlfaktor im aktuellen Bioware-Portfolio. Frei nach dem Motto: "Wenn es kriselt, bringen wir ein Spiel raus, das die Community an bessere Zeiten erinnert." Auch wenn die Neuauflage kein komplettes Remake, sondern lediglich eine Spielesammlung mitsamt Grafik-Update wird, halte ich dies für einen cleveren Schachzug.Zum einen hält man so die Marke vor Mass Effect 5 im Gespräch, zum anderen holt Bioware eine neue Zielgruppe damit ab. Allerdings muss die technische Umsetzung hier natürlich stimmen, ansonsten könnte die Legendary Edition Nostalgie schnell in Zorn verwandeln und den nächsten Shitstorm heraufbeschwören.
Quelle: Electronic Arts
Die große Unbekannte: Anthem Next
Okay, nachdem mich Mass Effect und Dragon Age noch recht optimistisch stimmen, rühren sich bei anderen Bioware-Projekten berechtigte Zweifel in mir. Nach dem gefloppten Start von Anthem Anfang 2019 versprach Bioware Besserung in Form eines gewaltigen Updates, das sowohl als Anthem Next als auch als Anthem 2.0 durchs Netz geistert. Bioware verspricht neue Schauplätze, frische Fraktionen und eine grundsätzliche Umstrukturierung des Loot-Systems und der Gameplay-Abläufe.
Quelle: Electronic Arts
Klingt gut? Schon. Doch es stehen jede Menge Fragezeichen hinter dem Rework. Gab es noch 2020 regelmäßig Update-Postings, ist es inzwischen merkwürdig still um das Projekt geworden. Im Dezember 2020 verließ Studio Director Christian Dailey das Unternehmen. Er koordinierte die Arbeit von etwa 30 Mitarbeitern bei Bioware Austin. Was jetzt aus Anthem Next wird, ist unklar. Titel wie No Man's Sky zeigen, dass eine rigorose und konsequente Update-Politik einen zum Launch gefloppten Titel retten kann.Ob das aber bei Anthem funktioniert, das inzwischen so viel Kredit verspielt hat, bleibt abzuwarten. Persönlich habe ich den Glauben an diese Marke längst verloren und befürchte, dass selbst ein komplett neues, besseres Spiel die Franchise nicht mehr retten könnte.
Alles wird gut?
Nach den vergangenen Jahren könnte man meinen, dass es bei Bioware ja eigentlich nur noch bergauf gehen könne. Vielleicht hat das
Quelle: Electronic Arts
Unternehmen intern auch Lehren aus den vergangenen Fehlern gezogen, und vielleicht wird ja alles so wie es früher einmal war. Pustekuchen! Immerhin wird auch Publisher Electronic Arts hier noch das eine oder andere Wörtchen mitzureden haben. Und auch wenn EA zuletzt wieder stärker auf die Kundenbedürfnisse einging, so erwarte ich doch, dass hier der eine oder andere Haken folgen könnte. Fest steht: Das Unternehmen Bioware und die Mitarbeiter stehen unter extremem Druck.
Die nächsten Projekte müssen abliefern und müssen profitabel sein. Ansonsten könnte Bioware nämlich das gleiche Schicksal blühen wie zuletzt eben Bioware Montreal und früher schon den Westwood Studios oder Maxis. Allein der alten Zeiten willen wünsche ich mir, dass Bioware dieser Schritt erspart wird. Ja, inzwischen steckt ein ganz anderes Studio hinter dem Namen. Doch die Erinnerungen sterben bekanntlich zuletzt. Bioware hat bei mir noch eine Chance, muss dieses letzte Fünkchen Vertrauen allerdings auch erst einmal rechtfertigen. Gebt ihr Bioware noch eine zweite Chance? Ich für meinen Teil werde es zumindest versuchen.
Ist ja nicht so, dass die Games in einem Vakuum existieren. Die Konkurrenz an sehr guten Toptiteln und Gameplay-Perlen ist mittlerweile riesig. Bei vielen Spielern (mich eingeschlossen) ist Zeit ein knappes Gut. Das Leben ist zu kurz für "nur ganz gute" Spiele, die einen nicht packen.
Bioware ist leider von EA ausgelaugt worden und schon lange tod, nurnoch der Name ist geblieben.
CP77 hat gezeigt, dass man wohl keinen Titel Blind kaufen sollte, egal welche Leistung ein Studio zuvor erbracht hat^^